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Von Hürden und Chancen – Die ESMA hört der Branche zu – Teil 1

Sandra Reinhard PPI AG

Sandra Reinhard

Senior Managerin

  • 20.08.2025
  • Lesezeit 8 Minuten
Retail Investment Strategy ESMA Umfrage
Key Takeaways
  • Finanzbildung als Schlüssel: Unzureichendes Produktverständnis und komplexe Informationspflichten sind die größten Hürden für den Kapitalmarktzugang von Privatanlegern, nicht vergangene Verluste oder Kosten.

  • Junge Anleger folgen anderen Mustern: Social Media, Finfluencer und einfache digitale Zugänge fördern spekulatives Anlageverhalten, während traditionelle Produkte oft als kompliziert und unattraktiv wahrgenommen werden.

  • Qualität vor Quantität bei Anlegerinformationen: Informationsflut und komplexe Formate hemmen das Verständnis; kompakte, klare und digital aufbereitete Inhalte sind entscheidend, um Vertrauen und Teilhabe zu stärken.

Die ESMA hat in einer europaweiten Marktumfrage Hürden und Chancen für Privatanleger untersucht. Die Ergebnisse zeigen: Fehlendes Finanzwissen, komplexe Informationen und neue Anlagetrends bei jungen Investoren prägen den Kapitalmarktzugang – mit klaren Handlungsfeldern.

Hintergrund und Zielsetzung: MiFID II, Retail Investment Strategy, Saving & Investment Union

Im Mai 2025 startete die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) eine breit angelegte Marktumfrage, um besser zu verstehen, wie Privatkunden am Kapitalmarkt teilnehmen – und welche Hürden einer stärkeren Beteiligung im Wege stehen.

81 ausführliche Rückmeldungen gingen ein: von Kreditinstituten über Wertpapierfirmen, Asset Managern, Bankverbänden, Fintechs bis zu Einzelpersonen. Hier die wichtigsten Erkenntnisse aus meiner Sicht.

Hintergrund und Zielsetzung

Der Kapitalmarkt könnte eine zentrale Rolle in der Altersvorsorge und im Vermögensaufbau spielen – theoretisch. In der Praxis dominiert in Deutschland weiterhin das klassische Sparen: Giro- und Tagesgeldkonten, Sparbücher. Kapitalmarktprodukte werden deutlich seltener genutzt. Zwar gibt es einen leichten Anstieg bei Aktieninvestments, festverzinsliche Wertpapiere bleiben aber abgeschlagen – unabhängig vom Zinsumfeld.

Die ESMA steht damit vor der zentralen Aufgabe: Anlegerschutz sicherstellen, ohne durch Überregulierung Prozesse zu verkomplizieren. Ziel ist es, Vertrauen zu stärken und aktive Teilnahme zu fördern. Dies ist sowohl im Kontext der anstehenden Überarbeitung von MiFID-II-Vorgaben im Rahmen der Retail Investment Strategy (Fortführung des Trilog geplant für September 2025) zu sehen als auch in der Savings & Investment Union der EU. Diese Initiative basiert im Wesentlichen auf vier Bausteinen:

  1. Bürger für den Einstieg in die Kapitalmärkte zu motivieren,
  2. Kapitalmärkte für Unternehmen und die Wirtschaft attraktiver zu gestalten, um Innovationen voranzutreiben,
  3. unterschiedliche Regelungen in den EU-Ländern zu harmonisieren und
  4. gleiche Beaufsichtigung der Länder innerhalb der EU.

 

Die Themenschwerpunkte der Konsultation

Die Umfrage der ESMA gliedert sich in sechs Themenbereiche entlang der Anlagestrecke (Investor Journey), die ich hälftig auf zwei Blogbeiträge aufteile.

1. Grundsätzliche Hindernisse für Privatanleger

Warum investieren viele Privatanleger nicht am Kapitalmarkt? Die Frage hat die ESMA in verschiedene Bereiche geclustert. Die wesentlichen Erkenntnisse der Umfrage pro Cluster sind die folgenden:

Produktverständnis und Wissensdefizite

Viele Rückmeldungen weisen auf eine unzureichende Finanzbildung und die generelle Wahrnehmung hin, dass Kapitalmärkte als unsicher wahrgenommen werden (eine interessante Studie dazu findet sich hier). Es wird vermutet, dass Anleger mangels Interesse keine Zeit in das Verstehen von komplexen Produkten investieren. Zusätzlich werden sie durch übermäßige Risiko- und Kostendarstellungen sowie eine Dokumentenflut abgeschreckt. Einige Branchenvertreter sehen eine Verbindung zwischen dem schwierigen Verständnis von Risiko und Rendite verbunden mit den regulatorisch erforderlichen Warnhinweisen, die die Unsicherheit weiter erhöhen. Eine Umfrage des Online Brokers XTB bezogen auf ETFs hat ergeben, dass ein Drittel der Befragten aufgrund mangelnden Wissens nicht investiert (bei den Jüngeren gibt das sogar die Hälfte an).

Für den Umgang mit komplexen Produkten werden die Angemessenheits- und Geeignetheitsprüfung als sinnvoll empfunden, aber auch hier werden teilweise die umfangreichen bzw. als schwer verständlich empfundenen Informationen als Abschreckung gesehen. Zusammengefasst wird festgestellt, dass Anleger dazu neigen, Informationsfülle mit hohem Risiko zu verwechseln, was zu Unsicherheit führt (selbst bei risikoarmen Produkten).

Umgang mit Verlusten

Interessanterweise besagen die Rückmeldungen, dass vergangene Verluste keine wesentliche Rolle spielen, zukünftig nicht mehr zu investieren. Ein erstes Investment scheint demnach die entscheidende Barriere zu sein. 

Die Rolle der Kosten

Auch die Kostenkomponente spielt keine entscheidende Rolle für die Investition. Es wird akzeptiert, dass Kosten anfallen. Viel wichtiger als Kosten sind die Aspekte Rendite und Vermeidung von Verlusten. Problematisch gesehen wird, dass für Sparprodukte keine Kostenausweise vorgesehen sind. Bei Finanzinstrumenten ist es die Darstellung impliziter Kosten, die schwierig nachzuvollziehen ist und zu Missverständnissen führt.  

Vertrauensprobleme gegenüber Banken und Zugang zu (digitalen) Informationen

Die Frage der ESMA, ob Vertrauensprobleme gegenüber Banken bestehen, wird eher verneint bzw. andere Faktoren sind deutlich wichtiger.

Der Zugang zu Informationen (online oder persönlich) wird grundsätzlich nicht als Hürde gesehen. Der Zugang zu Anlageberatung dagegen schon. Daher entscheiden immer mehr selbstständig, etwa über Online-Plattformen oder durch den Austausch mit Freunden und Familie.

Der Zugang zu Beratung ist stark von Zuwendungen (Provisionen) abhängig, da aussagegemäß nur so die Kosten gedeckt werden können. Kunden wiederum nehmen Anlageberatung dann gerne in Anspruch, wenn ihnen keine „Vorkosten“ (z. B. durch Honoraranlageberatung, in der keine Zuwendungen gestattet sind, aber ein Honorar für die Beratung anfällt) entstehen. Eine Veränderung der Annahme von Zuwendungen hätte gemäß den Rückmeldungen ein geringes Angebot an Anlageberatungsdienstleistungen zur Folge. Allerdings wird auch hier Kritik an den teils komplexen Verfahren im Rahmen einer Anlageberatung vorgebracht.

Fazit: Fehlendes Grundverständnis für Kapitalmarktmechanismen führt zu Vorurteilen und zur Rückkehr zu traditionellen Sparformen. Chancen werden liegen gelassen. Digitale Plattformen werden genutzt und können helfen – wenn Prozesse verständlich, schlank und regulatorisch effizient gestaltet sind (verbunden mit der Forderung, den Beratungsprozess generell zu verschlanken).

 

2. Attraktivität spekulativer Anlagen bei jungen Anlegern

Ein weiterer Fokus der ESMA liegt auf dem eher riskanten und spekulativen Investitionsverhalten jüngerer Generationen und darauf, welche Schlüsse (Erwartungen, Missverständnisse, Einfluss von Finfluencern) hieraus auf das Vertrauen in die traditionellen Finanzprodukte gezogen werden können.

Die Umfrageergebnisse bestätigen den Eindruck, dass junge Privatanleger ein wachsendes Interesse an spekulativen und volatilen Anlageformen wie Krypto-Assets zeigen. Der Hauptgrund wird in der Erwartung hoher Renditen, verstärkt durch Social Media, Influencer-Marketing und einfachen digitalen Zugang gesehen. Zwischenzeitlich hat sich jedoch auch das regulatorische Umfeld im Zuge der MiCAR (Markets in Crypto-Assets Regulation) an MiFID-II-Standards angepasst.

Der Erfolg vergangener Jahre, bei dem Verluste in spekulativen Märkten oft schnell ausgeglichen wurden, stärkt das Vertrauen vieler junger Anleger und senkt ihre Risikowahrnehmung weiter.

Das Thema Finfluencer wird in Rückmeldungen immer wieder genannt. Einerseits aufgrund ihrer Reichweite, aber auch kritisierend in Bezug auf die nicht ausreichend balancierte Gegenüberstellung von Chancen und Risiken. Welchen wesentlichen Einfluss Finfluencer auf junge Anleger haben, zeigt u. a. eine Umfrage der BaFin. Über 50 % der Befragten haben Informationen genutzt. Besonders spannend ist die hohe Abschlussquote. Finfluencer stellen üblicherweise Links für einen direkten Abschluss des Geschäfts zur Verfügung: 57 % haben einen solchen bereits genutzt. Die Umfrage bringt auch hervor, dass jungen Anlegern das Thema Zuwendungen und somit die Interessenkonflikte in diesem Kontext nicht bewusst sind. Nicht umsonst sind Finfluencer also im Fokus eines neuen Regelungsbereiches (nach momentanem Stand) innerhalb der Retail Investment Strategy.

Fazit: Junge Anleger werden nicht nur von Renditechancen angezogen, sondern auch von Technologie und einfachen Zugängen, beeinflusst durch Social Media. Traditionelle Produkte wirken im Vergleich kompliziert und wenig attraktiv.

3. Effektivität von Informationsdokumenten

Informationsüberflutung und regulatorische Komplexität gelten als Investitionshindernis. Die ESMA möchte insbesondere die Verständlichkeit, Klarheit und den Nutzen von vorvertraglichen Informationen diskutieren und hinterfragen, welche Informationen Anleger wirklich benötigen. Besonders hinterfragt werden der Nutzen von PRIIPs-KIDs, Kostenausweisen, Verlustschwellenwertbenachrichtigungen, die in der Regel vierteljährlich verpflichtende Berichterstattung („MiFID Reporting“) und die Zugänglichkeit und Lesbarkeit in digitaler Form.

PRIIPs-KID

Als verwirrend werden übermäßige Warnhinweise und uneinheitliche Angaben zu Kosten und Risiken genannt (bekanntermaßen gibt es unterschiedliche Anforderung an die Darstellung von Kosten innerhalb des PRIIPs-KID und der ex-ante Kosteninformation). Speziell hapert es an der Wirksamkeit dieser Informationen bzw. Informationsflut, um den Einstieg in den Kapitalmarkt (um diese Frage und die Hintergründe geht es ja hauptsächlich in dieser Marktumfrage!) zu erleichtern. Es ist kein Geheimnis, dass vermutlich viele der Informationen gar nicht gelesen werden (dies wird durch Download-Quoten belegt, die im niedrigen einstelligen Bereich liegen).

Die grundlegende Rückmeldung ist, dass das PRIIPs-KID in der aktuellen Form den Anlegern derzeit nicht hilft, Anlageprodukte besser zu verstehen, primär wegen Länge, Komplexität und Gestaltung. Einzig die Risikodarstellung anhand des SRI (Summary Risk Indicator) wird lobend aufgrund der kompakten Übersichtlichkeit (ein Balken) hervorgehoben. Bemängelt wird, dass die bisher angestrebte starke Vereinheitlichung nun den unterschiedlichen Finanzinstrumenten nicht mehr Rechnung tragen kann.

Kosteninformationen

Die Kosteninformationen enthalten nicht die hilfreichen Informationen, vor allem die geforderte Darstellung der Auswirkung auf die Rendite erscheint sinnlos, da dies ohnehin nicht vorausgesagt werden kann. Die ex-post Kosteninformation wird als überladen bewertet (was angesichts der Aufstellung von Einzelpositionen über ein Jahr auch nicht verwunderlich ist).

Verlustschwellenreporting

Die 10 %-Verlustschwellenmeldung für Finanzportfolioverwaltungsmandate bzw. auf gehebelte Finanzinstrumente auf Positionsebene wird als kontraproduktiv empfunden. Anstatt Ruhe zu bewahren, wird Handlungsdruck suggeriert. Derartige Panikverkäufe sollten eher vermieden werden, da sie zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt stattfinden.

Regelmäßige Berichterstattung

Die verpflichtende regelmäßige Berichterstattung wird überwiegend als überflüssig ohne echten Mehrwert betrachtet, da die meisten Anleger laufend digitalen Zugriff auf diese Informationen haben.

Fazit: Kurz zusammengefasst: Mehr Daten führen nicht automatisch zu besserem Verständnis und es wird Qualität vor Quantität gefordert. Somit braucht es neue Strukturen zur Darstellung der wesentlichen Informationen in einer kompakten Form. Eine Steigerung des Angebots digitaler Tools mit transparenten Informationen kann ein laufendes Informationsbedürfnis besser abfangen als periodische Berichterstattung oder andere standardisierte Übersichten.

Ausblick

Die ESMA hat aus meiner Sicht eine sehr offene und konstruktive Art gefunden, in den Austausch mit Instituten und Verbänden zu gehen und sich den Puls der Zeit abzuholen. Wie avisiert gibt es die drei weiteren Themengebiete der Umfrage in meinem folgenden Blogbeitrag in der nächsten Woche. Dann geht es um regulatorische Offenlegungen und Marketingmaterial, die Angemessenheits- und Geeignetheitsprüfung in der Anlageberatung und um das beratungsfreie Geschäft. 

Wir bei PPI sind Experten in der Verknüpfung von regulatorischen Themen und der smarten Einbettung in technologische Prozesse (wir nennen es „RegTech“) – sprechen Sie uns an!

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